Adelaide Crapseys "Cinquain" - Einunddreißig - Das Forum für Tanka

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ADELAIDE CRAPSEYS "CINQUAIN" - EINE BEMERKENSWERTE ADAPTION DES TANKA IN DER AMERIKANISCHEN LYRIK DES FRÜHEN 20. JAHRHUNDERTS
Rüduger Jung

(Ich beziehe mich bei meinen Ausführungen auf ein hervorragendes Buch, das jüngst erschien: Sabine Sommerkamp: Der Einfluss des Haiku auf Imagismus und jüngere Moderne. Studien zur englischen und amerikanischen Lyrik. München: IUDICIUM Verlag, 2023. 428 Seiten. ISBN 978-3-86205-603-3), S.104 - 108)

Adelaide Crapsey, geb. 1878, war auf der Suche nach der komprimiertesten Lyrikform, die in englischer Sprache möglich sei. Dabei war sie von der klassischen Gedichtform Japans, dem Tanka, aber auch vom Haiku geprägt. Im Unterschied zu anderen zeitgenössischen AutorInnen, die sich beim Blick auf die japanische Poesie eher von formalen Aspekten leiten ließen, drang sie auch intensiv in deren inhaltlichen Hintergrund ein. Ihre Erfindung, das Cinquain, nimmt die fünf Zeilen eines Tanka auf, hat aber mit nur 22 Silben durchaus Nähe zum Haiku.
Der Aufbau eines Cinquain lässt sich analog zum Elfchen deuten hat dieses fünf Zeilen mit einem, zwei, drei, vier, zuletzt wieder einem Wort, muss man diese Zahlen im Cinquain jeweils verdoppeln, freilich nicht, um auf die Anzahl der Worte, sondern der Silben zu kommen: 2, 4, 6, 8, 2.
In einem der von Sommerkamp zitierten Beispiele spielt sie auf Moritakes berühmtes Haiku an, in dem vermeintlich ein gefallenes Blütenblatt an den Ast zurückkehrt tatsächlich handelt es sich um einen Schmetterling. Existenziell wird ihr Cinquain durch den Hinweis auf ihre Tuberkulose-Erkrankung, der sie ebenso wie John Keats erlag:

THE GUARDED WOUND
If it
Were lighter touch
Than petal of flower resting
On grass oh still too heavy it were,
Too heavy! (a. a. O., S.106)

Das Cinquain blieb keine Episode, sondern hat die Adaption der japanischen Gedichtformen in den USA dauerhaft beflügelt und beeinflusst. War eine erste Phase der Rezeption in der Hauptsache von formalen Aspekten geprägt (sie standen bei den Imagisten um Ezra Pound im Vordergrund), suchten die späteren "beat poets" die inhaltliche Nähe zum Zen-Buddhismus. So konnte für Philip Whalen und Allen Ginsberg das folgende Cinquain zum Schlüsseltext einer eigenen Traditionsbildung werden:

TRIAD
These be
Three silent things:
The falling snow... the hour
Before the dawn... the mouth of one
Just dead. (a. a. O., S. 108)

Herausgeber:
Tony Böhle
Bernsdorfer Str. 76
09126 Chemnitz
Deutschland
Redaktion:
Tony Böhle
Valeria Barouch
Birgit Heid
Mail: einsendung@einunddreissig.net
(C) 2023. Alle Rechte bei Tony Böhle und den AutorInnen.
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