Tanka-Prosa: Eine Serie von Fremden - Einunddreißig - Das Forum für Tanka

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EINE SERIE VON FREMDEN
Beate Conrad

"Ich möchte Sie abends in Ihrem der Straße zugewandten Zimmer fotografieren. Mit etwas Abstand zum Fenster auf der Straße wird meine Kamera aufgestellt sein. Wenn es Ihnen nichts ausmacht, fotografiert zu werden, stellen Sie sich bitte in den Raum und schauen Sie 10 Minuten lang durch das Fenster in die Kamera... Ich werde  n i c h t  an Ihre Tür klopfen, um Sie zu treffen. Wir werden einander fremd bleiben."

Im Fensterrahmen
halbdunkel eine Gestalt
ein richtiger Mensch
Gehirnzellen wechseln von
Analyse zu Aufnahme

Der oben zitierte Text neben einer Serie von Bildern aus der Begleitbroschüre klingt fast wie ein unmoralisches Angebot für Rotlichtfotografie. Es handelt sich jedoch um einen Auszug aus anonymen Briefen von Shizuka Yokomizo an Erdgeschossbewohner in ganz England. Ich schreite durch die Galerie und betrachte die Fotografien, wo – ganz anders als bei der üblichen Portraitfotografie – Objekt und Betrachter auf größtmöglicher Distanz bleiben sollen. Die Ergebnisse zeigen verblüffend

wie eine Lücke
graphisch sichtbar gemacht
zwischen dir und mir
eine Gegenseitigkeit
sich anonym ins Licht setzt

diese Beziehung
unerbittlich im Blick
des Kameraauges
so stark die Bestätigung
auch der eignen Existenz
Herausgeber:
Tony Böhle
Bernsdorfer Str. 76
D-09126 Chemnitz
Redaktion:
Tony Böhle
Valeria Barouch
Mail: einsendung@einunddreissig.net
(C) 2021. Alle Rechte bei Tony Böhle und den AutorInnen.
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