Tanka-Kommentar (Heid) - Einunddreißig - Das Forum für Tanka

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EIN KOMMENTAR ZU EINEM TANKA VON BRIGITTE TEN BRINK
Birgit Heid

nun da ich allein
mit mir selbst bin lausche ich
auf das Rauschen
der Stille in den Räumen
unseres Hauses

Dieses Tanka setzt zu Beginn ein schweres "nun". Manchmal wird dieser Begriff an den Anfang eines Satzes gestellt, um danach einen Widerspruch aufzuzeigen. Das Wort "nun" ist in meinen Augen ein besonderes "Gewächs", eines, das Aufmerksamkeit einfordert. Der Fokus wird auf den gegenwärtigen Moment gelenkt und soll verhindern, dass die Aufnahmebereitschaft abgleitet, womöglich zum Gesprächsteilnehmer, der zu dieser Angelegenheit auch etwas beizutragen hätte. Hier wird um Geistesgegenwart gebeten. Das Reich der Autorin, des Autors öffnet sich, sie oder er steht nun im Mittelpunkt.
Da die Person mit sich selbst allein ist, richten sich alle Scheinwerfer auf sie. Allein mit sich selbst ist der Mensch und ich frage mich, ob das "mit sich selbst" eine Steigerung des Alleinseins zur Einsamkeit oder eine weitere Aufforderung zur ungeteilten Aufmerksamkeit darstellt. Ich könnte mir vorstellen, dass auch seine Gedanken ganz auf sich zentriert sind. Nicht nur körperlich allein, sondern auch geistig. Vielleicht sogar gefangen in den rotierenden Überlegungen, in Selbstvorwürfen, in Trauer oder Trauma. Ich würde gern mehr darüber wissen.
Ein erstes Öffnen des Denkens scheint zu folgen. Ein Rauschen ist zu bemerken, und zwar ein Geräusch, dem gelauscht, an das nicht nur erinnert, werden kann. Etwas Reales tritt in den Vordergrund. Doch gemeint ist die Stille. Ich fühle mich zurückgeworfen, fast schon überfordert. Wie rauscht die Stille? Ist es mehr als die eigenen Ohrgeräusche, der Tinnitus? Das Tanka ist mit inneren Vorgängen beschäftigt und lädt dazu ein, der eigenen Stille zu lauschen. Falls es überhaupt ganz still um einen herum wird. Nachts vielleicht, aber da ist auch bei mir das hell rauschende Ohrgeräusch zu vernehmen. Wie ließe sich mit der Vorstellung des inneren Rauschens umgehen? Könnte man dahinter hören und ein anderes Rauschen oder vergangene Dialoge heraufbeschwören? Es bleibt das Geheimnis der oder des Schreibenden.
Doch nun erfährt man Genaueres über die räumlichen Gegebenheiten. Wenn man in den eigenen Räumlichkeiten mit sich selbst allein ist, nicht einmal, wie es scheint, mit den Möbeln, scheinen die Zimmer ausgeräumt zu sein. Die Stille oder meinetwegen die übrig gebliebenen Geräusche, wie Atemzüge, Schritte, das Reiben von Kleidung, klingen nun anders, da sie von den Wänden in einer fremden Weise widerhallen.
Vielleicht ist das Tanka so gemeint. Dann wäre eine unüblich tönende Stille gemeint. Aus der der erste Ansatz von etwas Neuem aufbrechen kann. Und so gibt mir das rätselhafte Tanka ein wenig Hoffnung und Mut in einer sehr bedrückten Stimmung.
Herausgeber:
Tony Böhle
Bernsdorfer Str. 76
09126 Chemnitz
Deutschland
Redaktion:
Tony Böhle
Valeria Barouch
Birgit Heid
Mail: einsendung@einunddreissig.net
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