Editorial - Einunddreißig - Das Forum für Tanka

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EDITORIAL

Karneval, Fasching, Fastnacht, oder wie die fünfte Jahreszeit in der jeweiligen Region genannt wird, liegt gerade hinter uns. Die spezifische Ausgelassenheit der letzten Tage und Wochen wird, ähnlich dem jeweiligen Kostüm, für die nächste Saison verstaut. Was konnte man auf Umzügen oder Prunk- und Stunksitzungen für Verkleidungen bewundern! Und natürlich bot, wie jedes Jahr, die Politik ein reiches Feld.
Im nüchternen Zustand betrachtet, könnte man auf die Idee kommen, dass der Karneval überflüssig geworden sei, da es auch kaum noch eine einzuhaltende Fastenzeit gibt, auf die sich die saisonale Begeisterung bezieht. Wer fasten möchte, tut es hierzulande aus persönlichen, manchmal aus religiösen Gründen. Und wer unfreiwillig fastet, wird es bereits vor der Fastenzeit tun und muss nicht – wie früher – verderbliche Speisen verzehren. Weshalb also wird mit Feuereifer Saison für Saison die fünfte Jahreszeit begangen? Der Karneval hat mehrere Komponenten: die Hierarchieumkehr mit der Verspottung der "Obrigkeit", das Verkleiden bzw. der Identitätswandel und die Verabschiedung des Winters durch unheimliche Masken und Lärm. Bereits vor 5000 Jahren wurde dies alles in Mesopotamien gefeiert. Unsere heimischen Bräuche stammen aus der vorchristlichen Zeit. Man kann also davon ausgehen, dass in jeder Person einige Karnevals-Gene schlummern, die sich zu gegebener Zeit ausleben wollen, unabhängig von einer danach sich anbahnenden Fastenzeit.
Vielleicht gewinnt die Verkleidung auch gerade in der heutigen Zeit wieder an besonderer Bedeutung, weil wir angesichts der andauernden Verfügbarkeit innerhalb unserer Kommunikationsnetze endlich einmal abtauchen können, uns befreien von unseren Alltags- und Hierarchiekorsetts, eine Rolle spielen, die im sonstigen Leben stets unterdrückt werden muss. Ist die Verkleidung womöglich in Wirklichkeit der Ausdruck der wahren Persönlichkeit? Die traditionelle Maskerade der schwäbisch-alemannischen Fastnacht lassen mich an die Wintervertreibung denken. Weil es heutzutage mit dem Winter nicht mehr gut bestellt ist, bekommen solche Masken möglicherweise den Rang einer Reminiszenz an diese ehemals furchterregende Jahreszeit. Darüber hinaus verkörpern sie in ihrem Aussehen ein wenig das Wilde oder Böse, das man einmal ungeniert zeigen kann.
Ich finde, dass der Fasching mit seinen Bräuchen viel Symbolik birgt. In andere Rollen zu schlüpfen bringt Abwechslung in Beziehungen und eröffnet  verborgene Schichten unseres Naturells. Der Gedanke der Hierarchieumkehr kann auch im Alltag daran erinnern, die Mitmenschlichkeit vor die Rangordnung zu stellen. Eine furchterregende Maske kann eine verborgene Autorität zum Ausdruck bringen. Die Geselligkeit schließlich, die sich im Karneval oft nur auf der Oberfläche bewegt, kann durch ihre Kurzlebigkeit die Begrenzung des Lebens widerspiegeln und daran erinnern, wie wertvoll unsere Lebenszeit ist. Schließlich und endlich bietet gerade die Fastnacht zahllose kreative Impulse, die sich wegen ihrer außergewöhnlichen Atmosphäre bestens in Tanka umsetzen lassen.
Schade, dass die 5. Jahreszeit nun zu Ende ist. Frohe Fastenzeit! Bis nächstes Jahr als Zebra!

Eure Birgit

Herausgeber:
Tony Böhle
Bernsdorfer Str. 76
09126 Chemnitz
Deutschland
Redaktion:
Tony Böhle
Valeria Barouch
Birgit Heid
Mail: einsendung@einunddreissig.net
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