EIN KOMMENTAR ZU EINEM TANKA VON FRIEDRICH WINZER
Birgit Heid
auch wenn ichweit nach Mitternachtheimkommebewegt sich ganz leichtein Vorhang im Nachbarhaus
Dieses skizzierte Ereignis hat mich sofort angesprochen. Erinnert es mich doch an Erlebnisse in meinen jüngeren Jahren, als die alte Nachbarin am Fenster den Vorhang bewegte, wenn ich in Begleitung meines neuen Freundes, der mich nach Hause gefahren hatte, noch eine Weile auf dem Beifahrersitz das Ende eines Abends ausklingen ließ. Meine Eltern wussten stets Bescheid, auch wenn sie verreist waren, und ließen es mich unmissverständlich wissen. Einer der Gründe, weshalb ich die Anonymität der Großstadt zu lieben begann.
Doch dies hier unterscheidet sich, obwohl in der Handlung sehr ähnlich, ganz leicht. Diese nähere Beschreibung der Vorhangbewegung, die, genau genommen, nicht wichtig ist, erfährt jedoch durch die Benennung eine besondere Bedeutung. Die Gardine wird nicht gezogen oder gerissen, kein Unmut spricht aus der Geste.
Vielleicht ist es die Neugierde einer nachbarschaftlichen Person mit Schlafproblemen, die bei jedem nächtlichen Geräusch aufschreckt und sich erst wieder beruhigt, wenn sie weiß, dass kein Fremder hier vorbeikommt. Vielleicht steckt auch die Sympathie dieses benachbarten Menschen buchstäblich dahinter, dessen Gewahrwerden des Heimkommenden ihm Glücksgefühle bereitet.
Oder wird der Vorhang doch aus der Vorsicht eines Spions ganz leicht bewegt? Handelt es sich um Stalking, also eine gezielte Verfolgung, oder um die Vorbereitung von Tratsch und Lästerei, um bei nächster Gelegenheit die Ankunftszeit in der Nachbarschaft weiterzutragen, um daraus neue Gerüchte und üble Nachrede zu entwickeln?
Man weiß es nicht. Es ist eines der Geheimnisse der Nacht.
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